Der Polizist blickte von seinem Block hoch, sah mich über seine Lesebrille hinweg an und antwortete mit einer Gegenfrage: «Sehen Sie die gelbe Markierung?»
Natürlich sehe ich die Markierung, was soll die Frage?» «Diese Markierung bedeutet », antwortete der Polizist betont ruhig, «dass hier nur Warenumschlag stattfinden darf.» «Ja, und? Das waren höchstens drei Minuten!», antwortete ich barsch. «Die gelbe Markierung sagt nichts über die Dauer aus, sondern darüber, dass man das Parkfeld nur zum Warenumschlag benutzen darf. Haben Sie denn Waren umgeschlagen?» «Warum fragen Sie mich das?» «Wegen der gelben Markierung», antwortete der Polizist mit einem geduldigen Lächeln.
Ich hob ein klein wenig meine Stimme und erklärte dem Polizisten, dass ich da keinerlei Zusammenhang erkennen könne, ihm aber sagen könne, so es ihn denn interessiere, dass ich nur kurz am Kiosk war, um mir die neuste Ausgabe der Glückspost zu kaufen, was ich normalerweise nicht täte, aber die aktuelle Coverstory über Prinz William für eine Recherche über das Haus Windsor lesen wolle, die ja interessanterweise in Wirklichkeit alles Deutsche seien und gar nicht Windsor hiessen, sondern eigentlich auf den Namen «Sachsen-Coburg und Gotha» hörten und diesen Namen nur ablegten, damit die Engländer nicht merkten, dass sie von Deutschen regiert würden, was ja nun wirklich urkomisch sei …
Der Polizist unterbrach meinen Redeschwall. «Das Königshaus der Briten interessiert mich nicht und den Kauf der Glückspost kann man ja wohl kaum als Warenumschlag bezeichnen. Und deshalb …». Ohne den Satz zu Ende zu sprechen, klemmte er feierlich den Bussenzettel unter den Scheibenwischer des neuen X7, der in einem frischen und doch diskreten Dunkelgrün auf der Strasse lauerte und das Knöllchen regungslos entgegennahm.
Ich reagierte etwas unreif: «Wissen Sie eigentlich, dass das Auto mehr gekostet hat, als Sie in einem ganzen Jahr verdienen, Wachtmeister Knobler?» Der Polizist strich mit beiden Händen über seinen beträchtlichen Bauch und zuckte nur mit den Schultern. «Na, da können Sie ja stolz auf sich sein», meinte er bloss. Auf meine Frage, weshalb ich deswegen stolz sein sollte, reagierte der
Polizist dann doch mit einem ungeduldigen Schnauben, erklärte die Diskussion für beendet und verlangte, dass ich den Wagen nun unverzüglich vom Parkfeld entferne. «Ich denke ja nicht daran. Wissen Sie, was ich jetzt tun werde? Ich werde jetzt in aller Seelenruhe da in diesem Restaurant mein Znacht essen gehen. Und Sie können nichts tun, um mich daran zu hindern.»
Der Polizist hatte jetzt endgültig genug von meiner aufsässigen Art. Er richtete drohend seinen Kugelschreiber auf mich und verkündete – nun auch lauter werdend: «Wenn Sie das tun, werde ich den Wagen abschleppen lassen!» «Dann tun Sie das doch, das ist mir vollkommen egal.» Ich wandte mich energisch um, hörte noch, wie der Polizist die Zentrale anfunkte, betrat das Restaurant, suchte mir einen Platz, von dem ich den BMW gut im Blick hatte, bestellte ein Glas Ripasso und ein in Chili mariniertes Rib Eye vom Black Angus, serviert auf geschmolzenem Raclette-Käse mit Spicy Potatoe Wedges und wunderte mich gerade darüber, dass es für eine solch eigentümliche, aber äusserst schmackhafte Angelegenheit keine deutschen Worte zu geben scheint, als fast zeitgleich mit meinem Ripasso schon der Abschleppwagen auf der Bildfläche erschien.
Wachtmeister Knobler stemmte zufrieden seine Arme in die Hüfte und sah zu, wie der teure BMW auf die Ladefläche gehoben wurde. Und es geschah wirklich in genau diesem delikaten Augenblick, dass der Besitzer des Autos aus dem Lokal gegenüber der Strasse kam, und mit grossen Augen über die Umzugskartons auf sein Auto blickte, das gerade in der Luft baumelte. Das Gespräch zwischen Wachtmeister Knobler und dem warenumschlagenden BMW-Fahrer dauerte länger, und Wachtmeister Knobler hatte seine Ruhe eindeutig verloren. Das würde eine Menge Papierkram geben, er hatte gerade einen schönen Batzen Steuergeld verschwendet. Ich kratzte den letzten Rest Raclette-Käse aus dem Pfännchen, tupfte mir mit der Serviette die Mundwinkel, liess ein grosszügiges Trinkgeld da und machte mich langsam auf den Weg zum Bahnhof.
Denn in die Stadt fahre ich grundsätzlich mit dem ÖV.
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Peter Bolliger: Umgeschlagen
Lieber Michael, Danke für deine wunderbare Geschichte. Ich lache herzhaft und geniesse dabei meine Linsensuppe mit einem Stück Kalbspastete. Mein Tag ist nun noch bunter und genussvoller geworden. Fröhliche Grüsse Peter Bolliger